von Martina Ertl – Die Wendung des „american dream“ wird oft verwandt, um eine erfolgreiche Karriere zu umschreiben, die einen ja bestenfalls von „ganz unten“ nach „ganz oben“ katapultiert, vom Tellerwäscher bis zum Millionär. Jetzt ist die US-Amerikanerin Mikaela Shiffrin nie ganz unten gewesen, aber trotzdem habe ich das Gefühl, in ihr einen lupenreinen „american dream“ zu sehen.
Es gibt gegenwärtig keinen Superlativ, der auf Mikaela nicht passen würde. Sie liegt mit über 500 Punkten Vorsprung (!) auf die Zweitplazierte, in diesem Fall die Deutsche Viktoria Rebensburg, an der Spitze der Gesamtweltcupwertung und dominiert das Geschehen nach Belieben. War ich zu Beginn der Saison auf einen Zweikampf zwischen Shiffrin und Rebensburg um die große Kristallkugel eingestellt, dies mit leichten Vorteilen für die Amerikanerin, sehe ich keine Möglichkeit für irgendeine andere Athletin, Mikaela Shiffrin den Gesamtweltcupsieg streitig zu machen.
Als die Weltcupsaison letztes Jahr in Sölden startete, konnte ich mit dem Manager von Mikaela, dem ehemaligen österreichischen Skifahrer Kilian Albrecht, den ich schon seit Jugendtagen kenne, ein paar Worte über seinen Schützling wechseln, was mir die Assoziation zum „american dream“ verschaffte. Diese Karriere wurde „von unten“ konsequent aufgebaut. Seit Jahren wird die Athletin von ihrer Mutter betreut und behutsam über die Technik-Disziplinen zu einer echten Allrounderin, was es heute ja fast gar nicht mehr gibt, aufgebaut. Der Unterschied zwischen den einzelnen Disziplinen liegt vor allen in den unterschiedlichen Radien, die es zu bewältigen gilt. Den Schwung zwischen den Toren bei den Speed-Disziplinen und damit bei längeren Radien gleichmäßig zu verteilen, ist, wenn man vom Slalom kommt, nicht so leicht zu bewältigen.
In diesem Winter hat Mikaela Shiffrin genau diesen Schritt vollzogen und wer die Hintergründe kennt, für den ist es kein Zufall, dass dies eben in der olympischen Saison passiert. Bei ihrer vierten Weltcup-Abfahrt überhaupt in Lake Louise einen Sieg einzufahren, hat die Konkurrenz paralysiert. Der jetzige Slalom-Sieg in Zagreb vom Mikaela wird zur Kenntnis genommen wie ein Sonnenaufgang, die Diskussionen betreffen die Plätze hinter der Siegerin.
Fragt man den Mann, der immer einen Schritt hinter ist, bekommt man das Bild einer perfekten Athletin gezeichnet: sehr konzentriert, physisch und psysisch fit, sehr ehrgeizig, athletisch, nervenstark. Mein Ergänzung aus der Beobachtung heraus lautet: vielseitig und mit Spaß bei den Dingen, die sie tut.
In Südkorea wird sie sich genau anschauen, insbesondere nach den Trainings, in welcher Disziplin sie eine Medaillenchance hat. Sieht sie die, wird sie an den Start gehen. Es gibt ein Bild von Mark Spitz, dem Weltklasseschwimmer mit all seinen Medaillen. Im März könnte es ein solches Bild von Mikaela Shiffrin geben; für mich wäre das keine Überraschung, sondern ein amerikanischer Traum.
Herzlichst
Martina Ertl
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