Die österreichische Skirennläuferin Anna Veith hat am Semmering ihr Comeback im Weltcup gefeiert. 14 Monate nach ihrer schweren Knieverletzung tat sie das, was sie am liebsten tut, nämlich auf Rennniveau Ski fahren. Doch was geschah in der Zeit dazwischen? Anna Veith hat ihre Eindrücke gesammelt, zu Papier gebracht und ein Buch geschrieben. Mehr noch: Es ist keineswegs ein 08/15-Buch, sondern ein Aufarbeiten von Erfolgen, Ereignissen, Rückschritten und Lichtblicken. Die 27-Jährige hat in ihrer bisherigen und beispiellosen Karriere als Spitzensportlerin alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Olympia- und WM-Gold, zwei Mal großes Kristall…
Doch dann, auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn passierte von einer Sekunde auf die andere ein Missgeschick, das die Erfolge und Errungenschaften verblassen ließen. Ein schlimmer Trainingssturz mit einem mehr als nur kaputten Knie schalteten Veiths Leben von Highspeed auf Zeitlupe. Die Skirennläuferin wurde zur Kämpferin. Sie kämpfte, nahm die große Herausforderung an und biss sich durch.
Die unendlich lang scheinende Reha-Zeit hatte auch ihre positiven Seiten. Die Österreicherin fand zu sich und hatte Zeit, ihr irdisches Dasein zu hinterfragen und nachzudenken. Reich an Erlebnissen und Erfahrungen ist ihr Leben allemal, und deshalb entstand ihr Buch „Zwischenzeit“. Der Titel ist Programm und beinhaltet eine halbe Bilanz und außerdem etwas Philosophisches. Die Salzburgerin will erfolgreich sein und bald an den Erfolgen früherer Tage anknüpfen. Dazu ist sie in sich gegangen und alles zu Papier gebracht. Das ist wichtig, wenn man sich ein zweites skifahrerisches Leben aufbauen möchte.
Das „Sommertheater“ rund um die Differenzen mit dem Österreichischen Skiverband haben die Medien sechs Wochen dominiert. Verbandsausschluss und Rücktritt waren geflügelte Worte, doch Veith, die eine friedensliebende und niemals zanksüchtige Athletin ist, gelang es, die fast verhärteten Fronten aufzuweichen, sich zu einigen und Frieden zu schließen. Den Sturz vor Saisonbeginn hat sie sich nicht verdient.
Die 27-Jährige sah die Zeit der Pause als eine Zeit der Entschleunigung an. Sie lebt von nun an freier, offener und kann das Ganze als Zwischenzeit bilanzieren. Sie erzählt, dass sie vieles auf- und verarbeiten konnte. Bei aller Bescheidenheit ist die charismatische Sportlerin authentisch, offen und darüber hinaus auch selbstkritisch. In neun Kapiteln berichtet die ÖSV-Vorzeigeathletin, wie ihre Kindheit verlief und wie sie lernte, nur auf sich zu vertrauen. Als zu Beginn eher schüchterner Charakter war es auf keinen Fall leicht, auf einmal eine Person öffentlichen Interesses zu sein. Umso bemerkenswerter ist es, dass sie die Hindernisse auf dem steinigen Weg zum Comeback überwunden hat. Ein Buch vom Anfang bis zum Ende durchzuziehen, ist ein oft annähernd weiter Weg wie jener zu Olympiagold. Man muss ein Team haben, das hinter einem steht und von Anfang an bedingungslos unterstützt.
Anna Veiths Buch ist keinesfalls bloß eine Biografie, sondern auch ein Blick hinter die Kulissen und ein Mut-mach-Buch. Es ist auch, wenn man es zwischen den Zeilen liest, auch dazu geeignet, persönliche Strategien zu entwickeln, wenn es darum geht, eigene Schwachpunkte zu Stärken zu verwandeln. Denn die Salzburgerin und ihr Weg haben bemerkenswert bewiesen, dass kein Mensch als Sieger geboren wurde. Eine Anerkennung kann man sich erarbeiten, und auch das Siegen ist ohne Zweifel erlernbar.
Zusammen mit dem renommierten österreichischen Sportjournalisten Manfred Behr, der schon mit der ehemaligen Tiroler Stabhochspringerin Kira Grünberg ein außergewöhnliches und erstaunlich offen-ehrliches Buch geschrieben hat, hat die Skirennläuferin ihre Gedanken zu Papier gebracht. Und wer nach einem Geschenk sucht und gleichzeitig ein bibliophiler Freund des „weißen Sports“ ist, kommt mit dem Werk von Anna Veith sicherlich gut an.
Buchbesprechung für skiweltcup.tv: Andreas Raffeiner