Engelberg – Die Schweizer Ski Weltcup Rennläuferin Michelle Gisin hat in der vergangenen Saison gezeigt, dass sie in allen Disziplinen sehr gute Ergebnisse erzielen kann. So gesehen gehört die 26-Jährige zu den Allrounderinnen. Im Interview spricht die Athletin, deren Schwester Dominique im Skiweltcup aktiv war bzw. deren Bruder Marc aktiv ist, auch über die positiven Seiten der Corona-Pandemie, die Vorbildfunktion der Geschwister und die Vorteile als Allrounderin.
Michelle, dein Skiwinter 2019/20 ging aufgrund der Corona-Krise frühzeitig zu Ende. So konntest du unter anderem beim Saisonkehraus in Cortina d’Ampezzo nicht dein Können einer Allrounderin unter Beweis stellen. Wie würdest du deinen Saisonverlauf benoten, an welches Rennen erinnerst du dich sehr gerne zurück und welches möchtest du am liebsten aus deinem Gedächtnis streichen?
Es ist sehr schade, dass wir das Finale im wunderschönen Cortina d’Ampezzo nicht fahren konnten, dafür steigt die Vorfreude auf die Weltmeisterschaft 2021 umso mehr! Es war eine durchzogene Saison in jeder Hinsicht, alles in allem würde ich sie trotzdem sehr gut benoten.
In allen Disziplinen einen Top 4-Rang rausfahren zu können, macht mich zu einer richtigen Allrounderin, worüber ich mich sehr freue. Die Höhepunkte der Saison sind ganz klar das Podium im Slalom in Lienz und der vierte Rang im Riesenslalom in Killington.
Auf der Speedseite zählen natürlich das Podium in Altenmarkt-Zauchensee und der siebte Rang im Super-G von Garmisch-Partenkirchen, wo ich mich ein Jahr zuvor verletzt hatte.
Es gab leider auch zwei Rennwochenenden, die für mich absolut zum Vergessen waren. Es waren jene in Bansko und Lake Louise.
Die Corona-Krise wurde angeschnitten. Sie lässt uns teilweise verzweifelt zurück. Wie kann man in einer entschleunigten Zeit dennoch zu sich finden, manchmal neue Denkanstöße kreieren und sich trotzdem zuhause kreativ auf die neue Saison vorbereiten? Was können wir Positives aus dieser Pandemie mitnehmen?
Mir hilft es sehr, Yoga zu machen und alles aufzuräumen und auszumisten. Nun habe ich wirklich viel Zeit, um all das zu erledigen, das seit langer Zeit ansteht. Ich denke, es lehrt uns, wie wichtig es ist, wieder mal zu entschleunigen und runterzufahren und unsere Prioritäten wieder richtig zu setzen.
Sowohl deine Schwester Dominique als auch dein Bruder Marc war (ist) im Skiweltcup unterwegs. Inwiefern sind deine skifahrenden und -begeisterten Geschwister Vorbilder für dich und stand für dich im Grunde genommen eine Ausübung einer anderen Sportart auf Wettkampfniveau nie zur Debatte?
Meine Geschwister waren von Anfang an meine größten Vorbilder. Ich wollte ihnen immer alles nachmachen und sie hatten oft nur wenig Ruhe von mir. Die Leidenschaft für den Skirennsport war bei uns schon immer sehr groß, und deshalb sind wir auch alle diesen Weg sehr lange gegangen.
Mit welchem Grund würdest du jungen Mädchen den alpinen Skirennsport schmackhaft machen und weshalb ist wichtig, in allen Disziplinen zu starten? Oder ist es besser, sich auf zwei Disziplinen (Abfahrt, Super-G oder Slalom, Riesentorlauf) zu konzentrieren und gegebenenfalls die Kombination mitzunehmen?
Die Freude und die Freiheit, die man verspürt, wenn man diesen Sport macht, ist unvergleichlich. Es ist eine sehr gute Lebensschule, und man lernt unglaublich viel, ganz egal, welche Stufe man erreicht. Die Faszination, dass es viel Kraft, aber eben auch Agilität und Koordination braucht und schlussendlich die mentale Verfassung extrem entscheidend ist, macht das Skifahren richtig toll.
Von mir aus ist es sehr wichtig, so lange wie möglich in allen Disziplinen unterwegs zu sein. Jede einzelne profitiert von der anderen, und man lernt so immer wieder dazu. Der Wechsel von langen auf kurze Skier und umgekehrt fördert die Koordination, und ich persönlich spüre sehr gut, wie viel ich von einer Disziplin in die andere mitnehmen kann und erkenne so auch die Differenzen deutlicher.
Bericht und Interview für skiweltcup.tv: Andreas Raffeiner