Walter Reusser hat seine ersten Kaderselektionen als Alpin-Direktor von Swiss-Ski hinter sich. Im Interview erklärt er, wie der Selektionsprozess abläuft, warum die Anzahl Kaderathleten in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, welche Auswirkungen dies auf die Struktur hat und inwiefern die Corona-Krise die Selektion im Ski Weltcup beeinflusst hat.
Walter Reusser, wer hat Einsitz in der Selektionskommission?
Walter Reusser: Die Selektionskommission umfasst vier Personen. Neben dem Direktor Alpin sind dies die beiden Cheftrainer Thomas Stauffer und Beat Tschuor sowie Hans Flatscher, der Chef Nachwuchs.
Aufgrund welcher Kriterien werden die Selektionen vorgenommen?
Grundsätzlich werden Selektionen für die Nationalmannschaft sowie für das A-, B- und C-Kader vorgenommen. Für die Nationalmannschaft muss ein Athlet entweder zu den besten 15 in einer der Disziplinen Abfahrt, Super-G, Riesenslalom oder Slalom zählen – oder zu den besten acht in den Disziplinen Kombination oder Parallel. Einen Nationalmannschafts-Status erhält auch, wer in der vergangenen Saison einen Ski Weltcup Podestplatz erreicht hat. Für die Aufnahme ins A-Kader muss ein Athlet zu den weltweit besten 30 in Abfahrt, Super-G, Riesenslalom oder Slalom gehören – respektive zu den besten 15 in den Disziplinen Kombination oder Parallel. Den B-Kader-Status kann man primär über Europacup-Resultate erreichen, während für die Einstufung ins C-Kader FIS-Rennen, sprich nationale Vergleiche, herangezogen werden.
Wie verlaufen innerhalb des Gremiums die Abstimmungen betreffend eine Selektion?
Wir haben die Athleten während Jahren in einem Prozess drin, sie werden laufend beobachtet und stehen daher auf einer Longlist. Über diese Longlist und anhand der Kriterien, die wir über ein System erfassen, sehen wir schon während der Saison, wer welche Kriterien bereits erreicht hat. Ende Saison ist bei den meisten Athleten klar, welchem Kader sie in der Folgesaison angehören. Es gibt klare Regelungen. Hat ein Athlet diese erreicht, hat er die Selektion geschafft. Hat ein Athlet die Richtlinien nicht erreicht, hat er keine Selektion. Aber natürlich gibt es auch Grenzfälle, wenn zum Beispiel ein Athlet während einer Saison über einen gewissen Zeitraum verletzt war. Dann wird das Urteil der Trainer innerhalb der Selektionskommission hinzugezogen. Die Cheftrainer stützen sich dabei auf die Einschätzungen ihrer Gruppentrainer, die eng mit dem Team zusammenarbeiten.
Wer hat den allfälligen Stichentscheid?
Diesen suchen wir nicht. Falls er nötig wäre, würde diesen der Direktor Alpin fällen.
Gab es Härtefälle beim diesjährigen Selektionsprozess?
Es gibt immer Athleten, bei denen es knapp ist. Man muss dann zum Teil harte Entscheide treffen, indem Athleten zurück an den Regionalverband geschickt werden. Andere wiederum werden über den Trainerentscheid im Kader belassen.
Vor zwei Jahren umfasste das Alpin-Kader 76 Athletinnen und Athleten, nun sind es bereits 96. Wie lässt sich dieser Zuwachs erklären?
Wir sind jetzt knapp an der 100er-Grenze, das ist grossartig. Es zeigt die gute Arbeit, die geleistet wurde. Denn die Selektionskriterien sind in den vergangenen Jahren eher etwas verschärft worden. Trotzdem schaffen es die Athleten, die Kriterien zu erfüllen. Wir suchen die Breite, sie ist ganz wichtig für unseren Sport – für Vergleiche und das gegenseitige Vorwärtspushen. Wenn die Kader grösser werden, bedingt dies natürlich auch Anpassungen innerhalb der Strukturen. Solche Anpassungen haben wir auch dieses Jahr wieder vorgenommen. Die Mannschaften werden grösser, je nachdem wird eine zusätzliche geschaffen, die Gruppen werden verändert. Es geht darum, der Anzahl Athleten optimal gerecht zu werden, um die Sportlerinnen und Sportler bestmöglich zu fördern.
Welchen Einfluss hatte die Corona-Krise auf den Selektionsprozess?
Die Schweizer Meisterschaften oder andere nationale Meisterschaften, an denen der eine oder andere Athlet noch ein für ihn wichtiges Resultat hätte herausfahren können, fehlten diesmal. Die Regeln und Gerechtigkeit waren aber für alle die gleichen. Entsprechend sind auch die gleichen Athleten selektioniert, wie es bereits die Planung im Vorfeld vorgesehen hatte.
Welche strukturellen Änderungen wurden mit Blick auf die Saison 2020/21 vorgenommen?
In der Vergangenheit wurde sehr gut gearbeitet, das zeigt der Gewinn des Nationencups. Im Weltcup wurde sehr vieles richtig gemacht. Es wurde eine sehr individuelle Betreuung lanciert und versucht, den Athleten die bestmögliche Infrastruktur zu bieten. Durch die Tatsache, dass die Athleten eher zahlreicher in die unteren Kader stossen und aufgrund der Gewissheit, dass es vorne stimmt, müssen wir nun auf der zweiten Stufe, sprich im Europacup, investieren. Dies haben wir massiv forciert. Wir haben nochmals stark ins Personal, in die Ressourcen sowie in die Anzahl und Grösse der Trainingsgruppen investiert. Entsprechend erwarten wir, dass wir für die kommende Saison und die nachfolgenden eine Plattform geschaffen haben, damit unsere Athletinnen und Athleten auf Stufe Europacup optimal vorbereitet sind – auf die Herausforderung Europacup, aber insbesondere auch auf die Herausforderung Weltcup.
Du hast nun deinen ersten Selektionsprozess als Alpin-Direktor hinter dir. Wie hast du im Hinblick auf die Selektionssitzungen geschlafen?
Gut, vieles war bereits klar. Wir haben im Vorfeld viele Meetings abgehalten, die zu diesen Zielen hingeführt haben. Wie erwähnt, läuft über die gesamte Saison hinweg bereits eine Liste inklusive Analyse mit. Es war ein stabiler, ruhiger und klarer Prozess. Es wäre ein schlechtes Zeichen, wenn Selektionen zu Aufruhr führen würden. Für den Athleten, für den Betreuer, für das ganze Umfeld ist wichtig, dass der Prozess berechenbar ist. Und das ist er bei uns. Von daher gibt es keine speziellen Vorkommnisse oder Entscheide.
Quelle: Swiss-Ski.ch