Graz – Vielen Skifans ist noch der schlimme Sturz der österreichischen Skirennläuferin Nicole „Nici“ Schmidhofer in Val d’Isère in Erinnerung. Dabei verletzte sich die Speedspezialistin schwer am Knie. Zweimal musste sich die Super-G-Weltmeisterin von 2017 bereits operieren lassen, ein dritter chirurgischer Eingriff steht noch aus. Trotzdem blickt sie dankbar nach vorne und hofft nach einer erfolgreichen Rehabilitationsphase wieder angreifen zu können.
Nici, dein WM-Winter 2020/21 ging durch einen furchterregenden Sturz zu Ende, noch ehe er richtig begonnen hat. Auch wenn die Verletzung schwer ist und der Weg zurück noch schwerer: Wann hast du für dich entschieden, den Kampf aufzunehmen und den Weg zurück einzuschlagen? Und so nebenbei: Was dürfen wir über deinen Genesungsverlauf in Erfahrung bringen, und was sind deine nächsten Schritte?
Die Frage hat sich für mich nie gestellt, ich musste eigentlich keine Entscheidung treffen, weil ich wusste, dass es für mich weitergehen wird. Ich habe mittlerweile zwei Operationen hinter mir; die zweite war sehr lang, aber sie ist sehr gut verlaufen. Dabei wurden der Knochen und die Bänder wiederhergestellt, sowie beide Menisken. Ich bin den Ärzten dankbar, dass ihnen die herausfordernde Operation so gut gelungen ist. Allgemein kann ich sagen, dass ich am Anfang körperlich etwas angeschlagen und müde war, aber mittlerweile geht es mir wieder sehr gut.
Zurzeit schauen wir, dass alles gut verheilt; dann werden beim dritten chirurgischen Eingriff das vordere und hintere Kreuzband in Angriff genommen. Das sollte irgendwann im Februar sein. Wann genau das der Fall ist, sehen wir erst beim Verlauf des Heilungsprozesses. Bis dorthin heißt es passiv bleiben; ein Bewegen und leichtes Belasten beim Gehen mit Krücken sind erlaubt. In der Zwischenzeit vertreibe ich mir die Zeit, indem ich Wintersport im TV schaue. (lacht)
Du bist durch einen geerdeten und bodenständigen Charakter bekannt. Trotzdem haut so eine Verletzung die besten Sportler um. Schicksalsschläge, egal welcher Art, öffnen neue Türen. In welche trittst du ein, und warum ist es für den persönlichen Reifeprozess immer wichtig, nach vorne zu schauen und sich nicht zu lange mit der Vergangenheit zu beschäftigen?
Danke für die Charakterbeschreibung. Schicksalsschläge gehören dazu, egal in welchen Bereichen. Aber es öffnet auch wieder neue Türen. Welche das sein werden, kann ich jetzt noch schwer einschätzen. Ich schau nicht zu weit zurück und auch nicht zu weit nach vorne. Wichtig ist, dass wir das Knie wieder hinbekommen und ich den Plan, der mit meinem Physiotherapeuten erarbeitet wurde, umsetzen kann. Alles andere ist derzeit relativ unwichtig.
Die Saison ist durch schwere Stürze gekennzeichnet, wenn wir unlängst die beiden Norweger Atle McGrath und Lucas Braathen oder den US-Amerikaner Tommy Ford hernehmen. Ist deine Sportart zu gefährlich geworden, oder wird man unnötigerweise durch einen künstlichen Druck, der von außen erzeugt wird, um die Leichtigkeit geprellt? Kann eine Leichtigkeit, wenn wir mit dem verbunden sind, was wir wirklich wollen und es in uns verankert haben, nicht mehr entstehen?
Druck ist sicher immer präsent und kann auch ein Erfolgskiller sein: da kann ich mich als Beispiel nehmen. Ich wollte meine Leistungen und Form von dem Jahr an bestätigen, in dem ich die Abfahrtskugel gewonnen habe. Im Super-G ist mir das mit dem dritten Platz in der Disziplinenwertung nicht so schlecht gelungen, aber in der Abfahrt hat es manchmal funktioniert, dann wieder gar nicht. Aber das gehört zum Spitzensport dazu, und man wächst an seinen Aufgaben.
Eine Beurteilung abzugeben, warum so viele Stürze passiert sind, kann ich nicht wirklich geben. Ich kann es vielleicht so erklären: Aufgrund der Umstände hatte man heuer weniger Vorbereitungstage im Speed-Bereich als normal. Für mich kann ich aber sagen: Ich war perfekt vorbereitet, und wir hatten super Trainingsmöglichkeiten, auch wenn die gewissen Tage gefehlt haben. Deshalb betrifft es mich in diesem Fall nicht, bei mir ist es einfach unglücklich gelaufen. Und wie es im technischen Bereich aussieht, kann ich nicht beurteilen. Wir bewegen uns am Limit und wollen schnell sein; da geht man ein gewisses Risiko ein, das ist uns auch bewusst. Dass dadurch die Leichtigkeit eingebüßt wird, glaube ich eher nicht. Heuer ist viel passiert, und Stürze gehören leider zum Skisport dazu.
Mut hat sehr viel mit Grenzen überwinden und erweitern zu tun! Inwiefern kann es von Bedeutung sein, immer die eigenen Grenzen auszutesten und Neues auszuprobieren, und warum soll man immer Dinge verändern, wenn man das Gefühl hat, dass es Zeit dafür war und den eigenen Impulsen folgen, auch wenn man die direkten Konsequenzen nicht kennt? Können Zuspruch, Dankbarkeit, Gottvertrauen, aber auch die Überzeugung, dass es das Leben relativ gut mit einem meint, auf dem Weg zurück einige Hilfestellungen sein?
Ich versuche, meine Grenzen nach oben zu schieben, aber nicht, sie zu überschreiten. Die Grenzen zu überschreiten, kann gefährlich werden, und dafür bin ich nicht der Typ. Man soll nur Dinge ändern, wenn etwas nicht passt oder nicht funktioniert, aber das spürt man. Wenn man sich nicht wohl fühlt, dann ist es Zeit, etwas zu ändern. Im Vorhinein weiß man nie, ob eine Veränderung funktionieren wird. Es ist ein Wunschdenken, wenn man die Konsequenzen im Voraus bereits kennen würde.
Zuspruch und positives Feedback sind in der Situation, in der ich mich derzeit befinde, ganz viel wert. Nach dem Sturz und der daraus resultierenden schweren Verletzung war ich baff, wie viel positive Unterstützung von den Leuten gekommen ist. Mir wurde von vielen Seiten Hilfestellung angeboten, einfach unfassbar! Auch von meinen Kolleginnen im Weltcup haben sich viele gemeldet. Natürlich bin ich dankbar, vor allem dafür, dass ich vor dem Sturz körperlich so gut drauf war. Das hat mir sicher geholfen, sonst wäre die Verletzung vielleicht noch schlimmer ausgegangen. Dankbarkeit ist sehr wichtig im Leben, ohne sie könnten wir nicht den nächsten Schritt machen.
Von sich und Dingen überzeugt sein, ist die Grundvoraussetzung im Leben, um das, was man sich vorgenommen hat, auch zu erreichen; ohne Überzeugung würde das nicht funktionieren. Ich werde es schaffen und hoffe, dass die Türe für die neue Saison wieder groß aufgeht und es in ein paar Monaten wieder passt und dass ich wieder Skifahren gehen kann.
Bericht und Interview für skiweltcup.tv: Andreas Raffeiner