Lørenskog – Das Karriereende von Marcel Hirscher hat die Konkurrenz möglicherweise in Schockstarre versetzt. Trotzdem geht das (Ski-)Leben weiter. Schenkt man unseren Kollegen von neveitalia.it Glauben, können fünf Athleten um die große Kristallkugel kämpfen. Und fünf andere wiederum haben Chancen auf den Sprung auf das Podest.
Zu den Gesamtweltcupanwärtern. Der Norweger Henrik Kristoffersen, erst 25 Jahre jung, aber lange der Widersacher des Österreichers schlechthin, könnte durchaus in die Fußstapfen des Salzburgers treten. Im Slalom schläft die Konkurrenz nicht, wenn man beispielsweise an den Franzosen Clement Noel denkt. Wenn der Wikinger ein paar Super-G mitnimmt und auch in der Kombination erfolgreich ist, kann er am Ende ganz oben stehen.
Alexis Pinturault aus Frankreich ist sehr gereift. Im letzten Ski Weltcup Winter gewann er sein erstes WM-Gold. Auch wenn er in der Gesamtwertung 400 Zähler hinter Hirscher lag und er noch eine kleine Kugel in einer Disziplin gewinnen muss, kann auch Pintu die große Kugel ansteuern. Mit Kontinuität und Ausdauer sollte der Geamtweltcup im Bereich des Machbaren sein. Der Athlet aus Courchevel geht mindestens bei zwölf Rennen, in denen er sich mit Kristoffersen auf Augenhöhe befinden muss, an den Start.
Aleksander Aamodt Kilde aus Norwegen hat in den letzten beiden Saisonen etwas enttäuscht. Mit dem neuen (alten) Material sollte der Erfolg vor allem im Super-G zurückkommen. Im Riesentorlauf will er an seine Limits kommen und wenn man den Slalom ausklammert, kann der Skandinavier von der Abfahrt bis zum Parallelbewerb fünf Disziplinen bestreiten und gute Ergebnisse erzielen. Sein Hauptaugenmerk liegt bei den Speeddisziplinen. Im Riesenslalom möchte er Kristoffersen und Pinturault näherkommen. Aber das ist nicht so einfach. Nun gilt es, den Sprung nach vorne zu wagen. Der Nordeuropäer, der in der Saison 2016/17 die Super-G-Kugel gewonnen hat, verfügt ohne Zweifel über das notwendige Potenzial.
Dominik Paris erlebte im letzten Winter eine Traumsaison. Der Super-G-Weltmeistertitel in Schweden war neben zahlreichen Siegen und der kleinen Disziplinenkugel das Tüpfelchen auf dem I. Das Kraftpaket aus dem Ultental kann als bester Speedspezialist der Gegenwart bezeichnet werden. Auch wenn die Abfahrts- und Super-G-Spezialisten weniger Rennen als die Techniker beschreiten, kann der Südtiroler ein wenig träumen. Denn es könnte durchaus Entscheidungen geben, in denen Pinturault und Kristoffersen ausscheiden oder sich gegenseitig die Punkte wegnehmen. Dann muss Paris auf der Hut sein und sich an den kleinen Strohhalm klammern.
Marco Schwarz war mit drei WM-Medaillen in Åre der gefeierte Held im Team Austria. Wenige Tage später ging der Winter 2018/19 mit einem Sturz im bulgarischen Bansko jäh zu Ende. Doch ein Kreuzbandriss bringt noch keinen um. Im Gegenteil: Der Kärntner schuftet hart und kämpft sich zurück. Der 1995 geborene Skirennläufer möchte kontinuierlich gute Leistungen zeigen. Es kann sein, dass er das Auftaktrennen in Sölden auslässt, aber er möchte immer alles geben. In der Gesamtwertung reichte es in der letzten Saison zu Rang neun. Da er verletzungsbedingt im letzten Monat des Winters nicht am Start war, ist das ein guter Wert. In der Kombination und im Parallelbewerb ist der Österreicher sehr gut und im Riesenslalom ist er immer für eine Überraschung gut, denken wir an den sensationellen siebten Platz in Adelboden. Und das mit Startnummer 67!
Nun kommen wir zu den Athleten, die durchaus Podestchancen haben. Den Anfang macht Pinturaults Teamkollege Clement Noel. Er ist ohne Zweifel der Slalomspezialist der Gegenwart und der Zukunft. Mit 21 Jahren siegte er in Wengen und in Kitzbühel. Dabei legte er eine Abgebrühtheit an den Tag, als würde er jeden Tag nur in Wengen und in Kitzbühel fahren. Er ist sicher noch kein Kandidat für den Gesamtweltcup, aber im Torlauf ist er ein heißer Anwärter auf das rote Trikot und die kleine Kugel. In der Endabrechnung, wenn man alle Disziplinen zusammenzählt, könnte für den aufstrebenden Mann der Equipe Tricolore ein Top-5-Platz keineswegs unrealistisch sein.
Vincent Kriechmayr kann einen ähnlichen Weg wie Dominik Paris einschlagen. Der Österreicher ist in der Abfahrt sehr gut unterwegs und könnte durchaus zum Seriensieger avancieren. Der Südtiroler wird sicherlich etwas dagegen haben. Trotzdem will der in wenigen Wochen 28 Jahre alt werdende Athlet aus Oberösterreich ein Wort um die kleine Kugel sprechen. Für höhere Aufgaben ist er aufgrund fehlender oder noch unbefriedigender Ergebnisse im Riesenslalom wahrscheinlich nicht berufen.
Marco Odermatt aus der Schweiz hat bei der letzten Auflage der Junioren-Ski-WM fünf Goldmedaillen geholt. Diese Bilanz kann sich mehr als nur sehen lassen. Der Eidgenosse wurde 1997 geboren und hat die ganze Zukunft noch vor sich. Im letzten Winter fuhr er schon aufs Weltcuppodest. Mal sehen, was die neue Skiweltcup Saison für ihn bereithält. Der Swiss-Ski-Rohdiamant weiß, dass er viel kann und dass viele auf ihn schauen werden. Er muss niemanden mehr von seinem Talent überzeugen. Wenn er einen Lauf hat, müssen sich die Konkurrenten warm anziehen. Dann ist ein Spitzenplatz in der Gesamtwertung allemal denkbar.
Kjetil Jansrud aus Norwegen ist schon etwas älter. Einige vertreten den Standpunkt, dass der Zug mit dem großen Kristallbecher bereits abgefahren sei. Doch der Wikinger hat noch viel vor. In den eigenen Reihen stieg er nach dem Rücktritt von Aksel Lund Svindal zum Kapitän auf. Im letzten Winter verbuchte Jansrud den 13. Gesamtplatz. Dabei fuhr er 537 Punkte ein. Da geht schon mehr; er muss in seinen Lieblingsdisziplinen mehr aus sich herausholen. Dann kann ein Platz unter den besten Drei durchaus noch einmal realistische Konturen annehmen.
Bleibt noch Beat Feuz. Der Schweizer kämpfte in der Saison 2011/12 mit Marcel Hirscher um die große Kristallkugel. Erst im Riesenslalom fuhr der Österreicher dem wacker kämpfenden Eidgenossen davon. Die Knieprobleme brachten fast das Karriereende mit sich, doch der „Kugelblitz“ biss die Zähne zusammen. In der Abfahrt und im Super-G ist auf den Swiss-Ski-Athleten immer Verlass. Der Blick auf die nackten Zahlen des Vorjahres spricht Bände. Selbst wenn er bei gewissen Rennen vom Startrecht nicht Gebrauch nimmt, ist der sechste Rang in der Gesamtweltcupwertung der letzten Saison etwas, was Appetit auf mehr macht und was den Schweizer zu weiteren Höchstleistungen antreiben wird.
Bericht für skiweltcup.tv: Andreas Raffeiner
Quelle: neveitalia.it