Lake Tahoe – Heute setzen wir zu einem großen Sprung über den großen Teich an. Die kanadische Skirennläuferin Marie-Michèle stand uns im Rahmen unserer alljährlichen Sommerinterviews Rede und Antwort. Die 30-Jährige, die als Mannschaftsführerin des Team Canada angesehen werden kann, spricht über ihr Sommertraining, ihre zwei Siege im Ski Weltcup, die sie in der Kombination einfahren konnte, die Stimmung innerhalb des Teams und vieles mehr.
Marie-Michèle, du gehörst seit 2008 dem kanadischen Weltcupteam der Frauen an und zählst zu den erfahreneren Athletinnen deines Heimatlandes. Bereitet man sich im Hinblick auf eine Saison, die weder Olympische Winterspiele noch Weltmeisterschaften beinhaltet, anders vor? Oder machst du in deinen Sommereinheiten keine Unterschiede?
Mein Sommertraining ist Teil eines langfristigen Plans. Normalerweise stimmen wir unser Trainingsprogramm über einen 4-Jahres-Zyklus ab. Was den Inhalt des wöchentlichen Trainings betrifft, so sieht er von Jahr zu Jahr ähnlich aus.
Als ich vor zwei Jahren verletzt war, lag mein Hauptaugenmerk beim Sommertraining darauf, die Kraft der Kniesehne zurückzugewinnen und auf beiden Beinen zu springen. Es war wichtig dass ich mich im Kraft- und Konditionsbereich wieder zurück arbeite. In diesem Sommer beginne ich auf einem viel höheren Niveau, und fühle mich auch richtig fit.
Deshalb bleibt etwas mehr Zeit, um mich mehr auf die kleinen Details zu konzentrieren. Olympia- und WM-Jahr hin oder her, mein Trainingsplan wird sich nicht ändern, obwohl die Topform mit dem vierjährigen Zyklus bestenfalls im Olympiajahr liegen sollte.
Du hast im Jahr 2014 die Super-Kombination in Zauchensee für dich entschieden. 25 Monate später warst du in der gleichen Disziplin in Soldeu erfolgreich. Welcher Sieg war für dich schöner und überraschender und warum ist es schwierig, bei einer Kombination in zwei Disziplinen Nerven aus Stahl zu haben und die Fähigkeiten einer Allrounderin optimal auszuloten?
Der Erfolg in Zauchensee war etwas Besonderes, denn es war mein Premierensieg. Als Kind habe ich immer davon geträumt, das höchste Niveau im Skifahren zu erreichen. Also war das sicher etwas Besonderes. Da ich den größten Teil meiner Karriere eine „Allrounderin“ bin, würde ich sagen, dass der schwierigste Teil darin besteht, in eine Kombination zu gehen, wenn eine Disziplin wesentlich schlechter ausgebildet ist, als die Andere.
Ich wurde immer als Slalomfahrerin definiert und das war über Jahre hinweg meine Stärke in der Kombination. Vor kurzer Zeit habe ich beschlossen, die Speeddisziplinen weiter zu verfolgen und den Torlauf beiseitezulassen. Wenn ich mich in beide Richtungen weiter bewege, wird es höchstwahrscheinlich auf einer Seite am Training mangeln, denn beim Slalom braucht man viele „Trainingstore“, um frisch und schnell zu bleiben. Bei der Abfahrt und im Super-G braucht es auch Kilometer damit man sich an die Geschwindigkeit gewöhnt und Erfahrungen sammelt. Gerade in der Abfahrt ist das Training sehr aufwendig. Darum nehmen auch nicht so viele Athletinnen an der Kombination teil. Wenn die Kombi mit einem Super-G ausgetragen wird, ist dies weniger zeitaufwändig.
Wie ist es um den kanadischen Damenskirennsport, wenn du beispielsweise die Juniorinnen anschaust, bestellt? Aus welchem Grund ist es gut, eine Teamleaderin, so wie du es bist, in den eigenen Reihen zu haben. Fühlst du dich in der von mir beschriebenen Rolle wohl und wann sind deine Ratschläge und Tipps besonders gefragt?
Es liegen ein paar schwierige Jahre mit dem kanadischen alpinen Team hinter uns. Der Verband benötigt immer noch genügend Geld von Sponsoren, um uns, die Weltcupathletinnen und -athleten durch ein gutes Programm konkurrenz- und wettbewerbsfähig zu machen.
Der Verband hat sich letzthin verstärkt mit den Provinzen zusammengeschlossen, um die Athletinnen und Athleten etwas länger in der Entwicklungsarbeit zu unterstützen. Im Moment hat unser Team einfach nicht die Kapazität, ein vielversprechendes Entwicklungsprogramm auf die Beine zu stellen. Es kommen viele vielversprechende Mädels und Jungs nach. Das ist keine Frage, aber ich hoffe, dass sie die gleiche Chance bekommen, wie ich sie in ihrem Alter hatte, um eines Tages den Sprung in den Ski Weltcup zu schaffen.
Als „Teamleaderin“, die durch Alter und Erfahrung bestimmt ist, würde ich sagen, dass ich gelernt habe, in vielen Szenarien kürzer zu treten und stattdessen mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich möchte durch meine Professionalität und meinem Trainingseinsatz vorangehen. Wenn die Mädchen meine Meinung hören wollen, bin ich immer erreichbar. Zudem denke ich, dass ein positives Umfeld innerhalb der Mannschaft ein großer Schlüssel zu unserem Wohlbefinden und Erfolg ist. Deshalb versuche ich so viel wie möglich das Team mit Optimismus zu führen. Ich war inzwischen auf den meisten Speedstrecken unterwegs. Dies kann hilfreich sein, um den Mädchen ein Feedback darüber zu geben, wie sich bestimmte Abschnitte der Piste anfühlen.
Marie-Michèle Gagnon in der Selbstkritik: Was sind deine Stärken und was sind deine Schwächen? Gibt es in deinen Augen Schwächen, die du unbedingt zu deinen Stärken machen möchtest? Gibt es einen Mentalcoach, der dich in dieser Hinsicht unterstützt?
Meine Stärken sind meine körperliche Fitness, meine Fähigkeiten, große Trainingseinheiten auf und abseits des Schnees zu absolvieren, aber auch mein Optimismus. Meine Schwächen, zum Beispiel in der letzten Saison, rühren von einer Verletzung her. Es waren die mentalen Aspekte bei den Speeddisziplinen und mein Mangel an Erfahrung in diesem Bereich. Ich habe seit meiner Verletzung hart an meiner mentalen Einstellung gearbeitet und mit mehr Kilometern auf den Speed-Brettern kann ich jetzt wirklich Verbesserungen sehen. Ich arbeitete seit ein paar Monaten mit einem Performance-Mentor zusammen; dies erweist sich als sehr hilfreich.
Du bist nach dem Ende der Saison 2019/20 zufrieden, wenn …
… ich mein Ziel erreiche, im Super-G, Riesentorlauf und in der Kombination unter den besten 15 zu sein. Ich möchte auch in der Abfahrt Weltcuppunkte sammeln. Des Weiteren werde ich auch mehr im Slalom trainieren, um bei den Kombinationen wieder wettbewerbsfähiger zu werden.
Bericht und Interview für skiweltcup.tv: Andreas Raffeiner