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Über Michelle Gisin und ihre Angstgefühle

Über Michelle Gisin und ihre Angstgefühle
Über Michelle Gisin und ihre Angstgefühle

Engelberg – Die Schweizer Skirennläuferin Michelle Gisin hatte Angst, als ihre Schwester Dominique verletzt war oder ihr Bruder Marc schlimm zu Sturz kam. Und sie gibt zu, dass die Angst ihre Begleiterin ist. Trotzdem stürzt sich die Eidgenossin mit Tempo 130 den Hang hinunter.

Als Michelle ein kleines Mädchen war, wollte sie alles erlernen, was ihre Geschwister konnten. Die Begeisterung und die Freude am Sport war etwas, was alle Gisin-Kinder teilten. Die Eltern, beide Sportlehrer, unterstützten die Kinder nach bestem Wissen und Gewissen, selbst wenn sie nicht ahnten, dass die Wege von Dominique, Michelle und Marc in den Spitzensport führen würden.

Michelle lernte aber auch die negativen Seiten des Profisports kennen. So verletzte sich Dominique als Jugendliche am Knie. Enttäuschung und Frust machten sich breit. Und trotzdem schuftete sie im Kraftraum ohne Ende, um besser zu werden, an der Verletzung zu wachsen, um so auch ihre mentale Stärke zu fördern. Auch an sportlichen Tiefen kann man reifen, vor allem wenn man erkennt, dass man die Kraft hat sich wieder nach vorne zu orientieren.

Drei Jahre dauerte die Auszeit von Dominique; fünf Knieoperationen musste sie über sich ergehen. Am liebsten hätte die um neun Jahre jüngere Schwester Michelle, Dominique ihr Knie gegeben. Aber dann schafte sie das Unmögliche; sie fuhr in die Weltspitze, sammelte Top-10-Platzierungen und kletterte auch auf ein Weltcuppodest. Glück und Freude wechselten sich ab, alles Negative schien vergessen.

Im Jahr 2012 verletzte sich auch Marc, es gesellten sich neben dem Kreuzbandriss Hindernisse und der mühsame Schritt nach oben. Gute Trainingsfahrten und der elfte Platz in Wengen stimmten die Gisins wieder zuversichtlich, ehe Marc in Kitzbühel schwer stürzte. Ein Schädel-Hirn-Trauma und Hirnblutungen waren dafür verantwortlich, dass Michelle wieder Angst bekam. Ein Jahr später schloss er mit der Streif Frieden und wurde bei der legendären Ski Weltcup Abfahrt Fünfter.

Inzwischen hatte Michelle im Weltcup Fuß gefasst. Zur Freude ihrer Mutter wagte sie ihre ersten Schritte im Konzert der Großen im Torlauf. Vieles relativierte sich, zumal Marc aufgrund posttraumatischer Belastungsstörungen den Winter vorzeitig beenden musste. Und Michelles Servicemann gab ihr den Rat, locker zu bleiben. Der Südtiroler Gruppentrainer Luis Prenn gab ihr sogar mit, die Angst als Schutz zu sehen und nicht als eine Gegnerin zu erkennen.

Langsam etablierte sich Michelle im Weltcup. Sie fuhr in beiden Disziplinenwertungen unter die besten Sechs. Silber bei der WM-Kombination 2017 und der Olympiasieg 2018, ebenfalls in der Alpinen Kombination, sprachen für sich. Die größere Schwester Dominique erwies sich als größte Hilfe. Sie schenkte ihr auch so etwas wie eine gewisse Sicherheit.

Auch Marc kämpfte sich zurück und war bei den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang dabei. Alles schien sich wiederum zum Guten zu wenden. Doch die Freude währte nur kurz.

Beim Rennen auf der Saslong in Gröden schlug das Unheil gnadenlos zurück. Ein sehr schlimmer Sturz nach einem Verschneider sorgte dafür, dass der Schweizer vor Ort beatmet werden musste. Unendlich scheinende fünf Tage lag er auf der Intensivstation, ehe der chirurgische Eingriff möglich war. Viele Knochen waren gebrochen, der Brustkorb war eingedrückt und auch die Lunge war in Mitleidenschaft gezogen worden. Gott sei Dank geht es ihm wieder besser. Er ist gesund geworden, trainiert wieder und will bald wieder Rennen bestreiten. Der Wille ist vorbildlich, aber ob der 31-Jährige wieder zur alten Leistungsfähigkeit zurückfindet weiß keiner.

Michelle gibt zu, dass das der Sturz von Marc ein Rückschlag war. Auch die Angst ist nicht abhanden gekommen. Die Knieverletzung, die sich zu Beginn dieses Jahres zugezogen hatte, half ihr, mental stärker zu werden. Nun will sie in der neuen Saison 2019/20 gut zurückkommen. Die Freude am Sport hat ihr auch geholfen, schwere Schicksalsschläge zu verdauen und sich nach oben zu kämpfen. Leid und Freud lagen oft nahe beinander. Und trotzdem hofft sie, dass alles irgendwann gut wird. Mit dieser Hoffnung ist sie aber nicht alleine.

Bericht für skiweltcup.tv: Andreas Raffeiner

Quelle: schweizer-illustrierte.ch

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